Menstruation

Erste umfangreiche und aktuelle kommentierte Bücherliste
von Alwine Witte

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(.pdf 2 Seiten)

erschienen 1997 bei der Koryphäe
Medium für Frauen in Naturwissenschaft und Technik

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SS Die kulturelle Bedeutung der Menstruation SS Pubertät, Aufklärung SS Film SS Psychosomatik SS Naturheilkundliche Behandlung SS Homöopathie SS Praemenstruelles Syndrom SS Schmerz SS Umweltvergiftung SS Selbsthilfebücher SS Magersucht SS Romane SS Menstruationssongs SS Ausstellungen SS Zeitschriften SS Verschiedenes SS Vor 1997 vergriffene Bücher SS

Menstruieren ist politisch

Hast du dir schon mal ausgerechnet, wie lange du in deinem Leben blutest? Rund sechs Jahre!
Hast du schon mal gestutzt, wenn in der Bindenwerbung blaue statt roter Flüssigkeit gezeigt wird?
Sind dir Blutflecken peinlich? Wem erzählst du, dass du gerade deine Mens hast?
Was wäre, wenn Männer bluteten?
Warum soll die moderne, emanzipierte Frau von Heute auf jeden Fall Tampons statt Binden benutzen?
Hast du Sex, während du blutest?
Hast du schon mal überschlagen, wieviel die Hygieneindustrie, die Pharmaindustrie und der Staat allein mit der Mehrwertsteuer an deiner Menstruation verdienen?! An welchem Tag deines Zyklus bist du gerade?
Willst Du von deiner Menstruation nichts fühlen, sehen, riechen? Spürst du gerne, wie das warme Blut fließt?
Was tust du real für dich, was für andere oder wegen der Meinung anderer?

Eine Auseinandersetzung mit der Mens ist politisch!

Alle akzeptieren, dass Frauen periodisch bluten. Uns wird suggeriert, es gäbe kein Tabu mehr, die prüde Rückständigkeit sei vorbei. Mit Tampons scheint die neue Freiheit endgültig erreicht. Trotzdem verbergen Frauen ihre Blutung und die Gesellschaft/Öffentlichkeit ignoriert sie.
Wenn eine Frau so starke Beschwerden hat, dass ihre Blutung bemerkt wird, konfrontiert sie ihre Umgebung mit dem Menstruationstabu, das für jede Frau gilt. Schnell stößt frau an die Grenzen der aufgeklärten Moderne, der Emanzipation und der von der Frauenbewegung erkämpften Enttabuisierung. Bestenfalls bemerkt frau ihre Blutungszeit nicht. Ein Standardsatz der Menstruierenden lautet:"Also ich hab' da keine Probleme mit".
Aber gibt es noch etwas jenseits von Beschwerden und Ich-bin-zum-Glück-problemlos? Der Ursprung des Wortes Sakrament führt uns zu 'sacer mens', zur heiligen Menstruation. So gesehen entpuppt sich der Mann als Mangelwesen, nicht fähig zu menstruieren und zu gebären, ohne sichtbaren Zyklus/Takt(gefühl).
Die Patriarchen drehten die weiblichen Potenzen um. Das Menstruationsblut wurde im alten Testament als unrein definiert. Frauen mussten nach jeder Blutung durch Menstruation oder Geburt zur Sühne opfern und Reinigungsrituale vollziehen. Während der Mens wurden sie von vielem ausgeschlossen. Damit Frauen nicht zurück zu ihrer Kraft finden, wird über das ganze Menstruationsthema die Schweigepflicht verhängt. Aufgrund ihrer sacer mens, dem Sakrament, das exclusiv Frauen zuteil wird, verbietet ihnen der Papst den Zutritt zum Altarraum, außer zum Putzen.
Durch das Tabu wurde die Menstruation zur Fessel. Eine menstruierende Frau fürchtet heute um ihren Arbeitsplatz, wenn sie nicht so flott arbeitet wie sonst oder auf ganz eigene Ideen kommt. Der/die ChefIn könnte ihre regelmäßigen Unstimmigkeiten bemerken und sie als monatliches Krankengut rausschmeißen. Also lieber gesundheitsschädliche Pillen einwerfen und die Zähne zusammenbeißen. Au Backe! Oder gibt es noch andere Möglichkeiten?

Männer mit PMS

Frauen sollen allzeit bereit und leistungsfähig sein, immer fröhlich und gut drauf - zykliche Schwankungen sind verboten: frau wird sonst als launisch, zickig, hysterisch verurteilt und als schwieriger als ein Mann.
Eine Forscherin in New York verteilte Fragebögen an Männer, die sonst Frauen gegeben werden, um das praemenstruelle Syndrom zu diagnostizieren, ohne dass die Männer dies erfuhren. Dem PMS werden rund 150 Symptome zugeordnet. Die Männer berichteten sogar von mehr Beschwerden als die Frauen! Demnach müssten Männer ständig arbeitsunfähig sein.
Es ist nicht lange her, dass der blaue Mon(d)tag ein freier Tag war. Die moderne Leistungsgesellschaft wertet Ruhephasen und Regeneration völlig ab und würde sie am liebsten abschaffen. Muße wird zum fünf-Minuten-Entspannungstraining vor dem Computer. Wie wär's mit zwei freien Tagen pro Monat für menstruierende Frauen und zwei freien Haushaltstagen für alle? Dann könnten Frauen sagen: "'Von heute an gibts mein Programm!' Heute ist mein Mensfeiertag, ich koche mir rote Grütze und mache einen Ausflug in den Tag hinein."

Die Kunst des Zeitmessens

In der Evolution hat die Rhythmik des eigenen weiblichen Körpers im Zusammenhang mit den Mondphasen vermutlich einen großen Bewusstseinsschub im Zusammenhang mit Zeit- und Raumwahrnehmung ermöglicht. Die Kunst des Zeitmessens hieß im alten Rom noch Mensuration=von der Mensis markiert. Der ursprüngliche Menschheitsrhythmus war der zyklische Frauenrhythmus.
Heute leben die meisten Frauen im Pharmarhythmus und im Männerrhythmus: Der Mondkalender wurde auf den Sonnenkalender umgestellt. Der jüdische Kalender rechnet noch mit Mondjahren, 354 Tage in 12 Monaten. Papst Gregor führte 1582 seinen gregorianischen Kalender mit 365 Tagen in den katholischen Ländern ein, der seit 1700 auch in Deutschland gilt. Der neueste ist der kapitalistisch-patriarchale Rhythmus, der mit 38,5 Stunden (oder mehr) Vollzeiterwerbsarbeit keine Rücksicht darauf nimmt, dass Frauen zusätzlich die täglichen Stunden Reproduktionsarbeit aufgehalst werden und keine gerechte Verteilung sowohl der Erwerbs- als auch der Hausarbeit unterstützt.

Das Wandlungsmysterium

Im Mittelpunkt matriarchaler Riten stand das Wandlungsmysteium der Menstruation. In Griechenland feierten Frauen in Eleusis das Göttinnenpaar Demeter und Persephone. Die drei großen Mysterienfeste des Jahreszyklus hießen Hystera, Skira und die Thesmophorien, mit denen Frauen auch ihren eigenen Zyklus feierten: Jahr und Zyklus wurden in drei Abschnitte eingeteilt. Der Abschnitt der Menstruation korrespondierte mit der sommerlichen Dürreperiode, die mit den drei Tage dauernden Thesmophorien aufhörte.
Eleusis war ca. 5.000 Jahre lang ein Zentrum matriarchaler Macht und besaß das Münzprägerecht. Um Münzen prägen zu dürfen, musste sich ein König bis ca. 300 n. Chr. in Eleusis weihen lassen.
Jutta Voss beschreibt in ihrem Buch "Schwarzmondtabu", wie die Kirche Eleusis entmachtete, die heiligen Menstruationsriten stahl und uminterpretierte. Jetzt trinken die Christen einmal monatlich das Blut ihres Gottes aus dem ehemals die Gebärmutter symbolisierenden Kelch. Das heilige Blut der Patriarchen ist das Tötungsblut, das Opferblut, nicht mehr das Monatsblut, das ohne Verletzung und Lebensbedrohung fließt, sondern im Gegenteil zur Potenz, neues Leben zu schaffen, gehört.
Voss stellt fest, dass die Kirche nicht ein einziges eigenes Symbol hat, sie hat alles matriarchalen Riten entwendet. Dieser Schritt, Frauen von dem Wandlungsmysterium ihres Körpers, von ihrer Wahrnehnung ihrer Potenzen und ihrer Macht zu trennen, war wohl Grundvoraussetzung für das Errichten eines Patriarchats. Heute sind nicht Frauen die Magierinnen der Wiedergeburt, sondern Männer sichern sich die Wiedergeburt in der Namenskette über den Vater zum "Stammhalter". Einige träumen sogar davon, als Klon noch augenscheinlicher wiedergeboren zu werden, während sich die Gesellschaft vor sämtlichen Körperflüssigkeiten inklusive Menstrualblut ekelt.
1953 meinte ein Forscherehepaar, das Gift im Menstruationsblut endlich gefunden zu haben, das alles verderben lässt, was eine Menstruierende anfasst, und nannte es Menotoxin. Erst in jüngster Zeit wurde diese seit Jahrhunderten gegen Frauen gerichtete Propaganda endgültig entlarvt. Im Gegenteil - Menstrualblut ist nicht nur ungiftig, sondern besonders reich an Mineralien, Vitaminen und weißen Blutkörperchen. Schließlich enthält es ja das Schlaraffenland für einen Embryo.

Verdrängen

Naturwissenschaften und Medizin verdrängen alles zyklische und fantasieren den männlichen Körper als Maschine. Der weibliche Körper wird weggelassen. Unsere Kultur hat schon lange alle Menarcheriten gründlich vergessen (Menarche heißt die erste Menstruationsblutung im Leben einer jungen Frau) Sogar Frauen innerhalb der Frauenbewegung wollten die Menstruation beseitigen. Sie propagierten die menstruelle Extraktion, mittels der die Gebärmutterschleimhaut abgesaugt wird und die Phase des Blutens auf eine Viertelstunde reduziert wird.
Wir wissen alle, wie die Werbung für Tampons abläuft: Die Verdrängung wird zum Exzess getrieben, frau sieht, riecht, spürt nichts mehr. Was Frauen unserer Kultur noch geblieben ist, das Fließen des warmen Blutes, ist aus dem Bewusstsein der Frau verdrängt. Eine psychoanalytische These lautet: Was verdrängt wird, wandert ins Unterbewusste und schlägt von dort verzerrt zurück.
Gibt es darum das praemenstruelle Syndrom mit Wutanfällen und schlechter Laune? Ich finde, Frauen haben genug Anlass für Wutanfälle, und sie sollten ihre Wut leben. Denn: Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen.


Erweiterung und Aktualisierung September 2002